Stellungnahme TI-Messenger: Standardprotokoll gleicht Innovationsbremse

Mit dem Telematikinfrastruktur-Messenger, kurz TI-Messenger, möchte die gematik einen neuen Standard für sicheres, interoperables Instant-Messaging im deutschen Gesundheitswesen schaffen. Doch was im Kern nach einer guten Sache klingt, bringt bei genauerem Hinsehen gleich mehrere Herausforderungen mit sich.

Teamwire, Jan 20 2022

Mit dem Release der „Spezifikationen TI-Messenger 1.0“ am 1. Oktober 2021 hat die gematik die ersten Schritte für eine anbieter- und sektorenübergreifende Echtzeit-Kommunikation im deutschen Gesundheitswesen vollzogen. Diese initiale Ausbaustufe verbindet Leistungserbringer und -institutionen miteinander. Weitere Ausbaustufen sollen sukzessive bis 2024 folgen. Ein erster Rollout des TI-Messenger ist – nach aktuellem Stand – ab Sommer 2022 geplant. So weit, so gut.

 

 

Gesundheitswesen braucht zeitnah eine einsatzfähige und interoperable Messenger-Lösung

 

 

Dass das Interesse an einem TI-Messenger für den Gesundheitssektor groß ist, beweisen nicht zuletzt die zahlreichen Anfragen, die etablierte Messenger-Anbieter wie Teamwire tagtäglich erhalten.  Die Anbieter werden einerseits gefragt, was sie vom Konzept der gematik halten und andererseits ob ihre Lösungen in den TI-Messenger integrierbar beziehungsweise mit diesem kompatibel sind. Grundsätzlich verfolgt die gematik mit dem TI-Messenger einige interessante Ziele. Unter anderem soll mithilfe von Interoperabilität eine übergreifende Kommunikation zwischen verschiedenen Messenger-Anbietern geschaffen werden. Wer genauer hinsieht, wird jedoch merken, dass zum jetzigen Zeitpunkt gleich mehrere Herausforderungen mit dem TI-Messenger einhergehen, die seine Einsatzfähigkeit in Frage stellen.

 


Hintergrund zum TI-Messenger der gematik

 

Für ihren TI-Messenger, der geplante Messaging-Standard für den Gesundheitssektor, setzt die gematik auf das frei nutzbare Matrix-Protokoll, um die Ansprüche an Interoperabilität, Integrierbarkeit und Innovationsfähigkeit zu erfüllen. Die Marktoffenheit für Anbieter, Wahlfreiheit für Nutzer sowie schnelle Verfügbarkeit der Lösung sind hierbei zentrale Aspekte. Auf Basis dieser Festlegungen ist es Messenger-Anbietern und Industriepartnern möglich, eigene TI-Messenger-basierte Lösungen zu entwickeln. Nach Zertifizierung und Zulassung durch die gematik dürfen Anbieter die eigens entwickelte TI-Messenger-Lösung auch verkaufen. Nutzer können demnach frei entscheiden, über welchen TI-Messenger sie kommunizieren möchten. Die Interoperabilität zwischen einzelnen TI-Messenger-Diensten zu gewährleisten und einen zentralen Verzeichnisdienst aller Nutzer bereitzustellen, sind wichtige Merkmale des neuen Messaging-Standards – sie machen laut gematik die wesentlichen Unterschiede zu bereits bestehenden Messenger-Lösungen aus.


 

Das große Aber

 

Dem TI-Messenger fehlen Funktionalitäten für größere Organisationen wie Kliniken, Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen. Und das sowohl im Hinblick auf administrative Themen als auch spezielle Funktionen für die täglichen Anwendungsfälle von Pflegekräften und die Patientenversorgung in Kliniken. So umfasst die erste Ausbaustufe des TI-Messengers lediglich Textnachrichten sowie Bild-, Datei- und Tonübertragung. Dies hängt vor allem damit zusammen, dass das Standardprotokoll andere Funktionalitäten nicht unterstützt und die gematik keine Abweichungen von ihrem definierten Standard erlaubt. Sämtliche Weiterentwicklungen und Innovationen, das Eingehen auf Kundenbedürfnisse und auch das Beheben von etwaigen Sicherheitslücken hängen somit von der Geschwindigkeit der gematik ab. Zudem müssen solche Implementierungen bei allen Anbietern, die den TI-Messenger dann zur Verfügung stellen, realisiert werden – ansonsten sind weder ein übergreifender Austausch noch die Sicherheit gegeben. Leider entpuppt sich der TI-Messenger aus diesem Grund als ein recht träges Gesamtsystem mit geringer Innovationsgeschwindigkeit.

 

 

Mehr technologischer Rückschritt als Fortschritt

 

 

Dass lediglich Textnachrichten sowie Bild- und Tonübertragung in der ersten Iteration des TI-Messengers umgesetzt werden, ist im Vergleich zu Messenger-Lösungen etablierter Anbieter ein funktionaler Rückschritt von drei bis vier Jahren. Die meisten etablierten Anbieter bieten heute schon standardisierte Funktionen, die für den TI-Messenger in der dritten und letzten Ausbaustufe für 2024 geplant sind. Darüber hinaus haben etablierte Messenger häufig sogar spezielle und noch weiter entwickelte Funktionen, die im TI-Messenger bisher überhaupt nicht vorgesehen sind. Fokussierte, unabhängige Messenger-Anbieter, von denen es auf dem Markt viele gibt, haben bereits jetzt einen klaren Entwicklungsvorsprung und werden diesen wahrscheinlich ausbauen können. Sie bieten schon heute innovativere und maßgeschneiderte Lösungen für das Gesundheitswesen. Zudem gewährleisten sie bereits jetzt ein sehr hohes Sicherheits- und Datenschutzniveau.

 

 

TI-Messenger kann etablierter Anbieter nicht einholen

 

 

Wer diese Hypothese bezweifelt, sollte seinen Blick auf etablierte Standards wie E-Mail, Fax und SMS richten. Dass all diese mal zeitgemäße Lösungen waren, steht außer Frage. Aber: Aufgrund ihrer Abhängigkeiten vom Standard gab es erstens nahezu keine Weiterentwicklungen; zweitens nahmen Sicherheitsprobleme stetig zu; und drittens wurden kundenspezifische Anforderungen über die Zeit durch andere Produkte umgesetzt. Daraus entstehen Nachteile für den Standort Deutschland. Denn durch den fixen Standard ist eine Wettbewerbsdifferenzierung kaum möglich, was die Anbieter des TI-Messengers auf funktionaler Ebene austauschbar macht. Ob man so starke digitale Player in Deutschland aufbaut, darf bezweifelt werden. Die hohe Innovationsgeschwindigkeit, welche für die Digitalisierung im Gesundheitswesen notwendig ist, wird der TI-Messenger also (leider) nicht bieten können, sodass es im Zuge dessen zwangsläufig zu Wohlfahrtsverlusten kommen muss.

 

 

Teure Insellösung für das deutsche Gesundheitswesen

 

Anbieter eines TI-Messengers haben durch die gematik-Vorgaben mit hohen Zulassungs- und Zertifizierungskosten zu rechnen. Aktuell ist der TI-Messenger als Insellösung für das deutsche Gesundheitswesen angedacht. Das heißt, er ist weder auf andere Länder noch auf andere Branchen übertragbar. Folglich müssen Anbieter ihre entstandenen Kosten auf einen relativ kleinen Markt umlegen. Dies hat zur Folge, dass TI-Messenger für Endabnehmer verhältnismäßig teuer werden. Unter den jetzigen Voraussetzungen wird wohl kaum einer der großen Messenger-Anbieter sein Software-Protokoll umbauen oder einen TI-Messenger entwickeln. Denn dies wäre ein technologischer Rückschritt bei gleichzeitig enormen (Anpassungs-)Kosten. Es ist daher nicht verwunderlich, dass unter den bisherigen Unterstützern des TI-Messengers primär Start-ups anzutreffen sind, die im Messaging-Bereich wenig Erfahrung mitbringen.

 

 

Unklarheiten beim Datenschutz und aufwendiger Support

 

Auch in Sachen Datenschutz taucht beim TI-Messenger noch das ein oder andere Fragezeichen auf. Bis jetzt gibt es keine zentrale Archivierung, welche die Kommunikation von Ärzten, Pflegekräften und Patienten mit dem TI-Messenger dokumentiert. Nutzer können etwa Patientenakten verteilen, ohne dass nachvollziehbar ist, wohin die Daten geflossen sind. Das steht weder im Einklang mit den Informationspflichten der DSGVO, noch lässt sich so die ärztliche Dokumentationspflicht erfüllen. Das stellt vor allem für größere Institutionen, wie Kliniken und Krankenhäuser, ein Problem dar. Denn eine manuelle Ablage ist bei mehr als 50 Mitarbeitern in der Regel nicht tragbar. Da bei einem TI-Messenger eine Verknüpfung verschiedener Anbieter – auch auf Client- und Server-Ebene – stattfinden soll, wird der Support deutlich aufwendiger und komplexer. Folglich wird es schwieriger sein, bei Support-Fällen die Ursachen einzugrenzen. Und benötigte Informationen werden verteilt an mehreren Stellen liegen. So wird es für Anbieter ein Leichtes sein, die Verantwortung von sich zu weisen – ohne, dass sie an Lösungen mitwirken.

 

 

Fazit: Kundenorientierte Digitalisierung statt Standardisierung

 

 

Bei aller Kritik soll das keine Absage an den TI-Messenger sein, noch bevor er überhaupt realisiert ist. Denn der Grundgedanke, eine übergreifende Kommunikation zwischen verschiedenen Messenger-Anbietern im Gesundheitswesen zu schaffen, ist ein interessantes Thema. Was es hierbei aber braucht, ist ein entsprechendes Gateway-Konzept oder passende Schnittstellen seitens des TI-Messengers – wofür sich übrigens etablierte Messaging-Anbietern von Anfang an gegenüber der gematik stark gemacht haben. Eine solche Idee des TI-Messengers muss gemeinsam mit erfahrenen Anbietern von Messaging Diensten umgesetzt werden. Nur so ist es möglich, dass langjährige Expertise, Innovationskraft und kundenspezifische Entwicklungen nicht einem Standard zum Opfer fallen, sondern den Anforderungen der Kunden und der Digitalisierung im Gesundheitswesen vollumfänglich gerecht werden.

 

 

 

Wir beraten Sie gern

 

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